WARUM | Buddhistische Seelsorge Ausbildung der DBU

WARUM … wir in Deutschland eine buddhistische Seelsorge brauchen

Ein Beitrag von Regina Weilhart veröffentlicht in der Ausgabe 2021/3 Was trägt? der BUDDHISMUS aktuell unter der Rubrik Aktuell.

Nicht erst seit der Pandemie erfahren viele Menschen heute ein Maß an Leid, Einsamkeit, Sorgen um ihre Existenz oder ihre psychische und körperliche Gesundheit, das sie nicht allein bewältigen können. In einer solche Situation brauchen Menschen Mitmenschen und Unterstützung.

Ein Blick in die USA zeigt, wie viel weiter als in Deutschland die buddhistische Seelsorge dort schon entwickelt ist. Bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten wird dort unter den Bezeichnungen Buddhist Chaplaincy oder auch Contemplative Care buddhistische Seelsorge praktiziert. Es gibt interessante Buddhist-Chaplaincy-Organisationen wie das SATI Buddhist Chaplaincy Training Program San Francisco, die von Chögyam Trungpa Rinpoche gegründete Naropa University Colorado und das Upaya Zen Center New Mexico; teilweise bieten sie buddhistische Seelsorge als anerkannte Berufsausbildungen an. Einen besonders großen Wirkungskreis entfaltet das New Yorker Zen Center for Contemplative Care (NYZCCC). 2007 von den beiden Zen-Priestern Sensei Chodo Robert Campbell und Sensei Koshin Paley Ellison gegründet, basiert es auf dem Modell der japanischen Nachbarschaftstempel. Seit seiner Gründung hat dieses Zentrum rund 100 000 Menschen (!) seelsorgerisch begleitet und darüber hinaus eine anerkannte und zertifizierte Ausbildung in buddhistischer Seelsorge geschaffen, die zu einem Masterabschluss führen kann. Dieses ist das erste und einzige landesweit akkreditierte Trainingsprogram für Buddhistische Seelsorge in den USA. Buddhistische Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Zertifikat arbeiten in den USA heute in Gefängnissen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizen und bei der US-Armee.

Deutschland ist multikonfessionell – auch die Seelsorge muss es sein

Schauen wir nun nach Deutschland. In den letzten Jahrzehnten wurde das Gesicht unserer deutschen Gesellschaft viel multikultureller und -konfessioneller. Seelsorge wird dennoch in Deutschland bis heute fast nur von christlichen Organisationen angeboten. Angebote weiterer Konfessionen, darunter auch des Buddhismus, wären an der Zeit. Sogar in der evangelischen Kirche gibt es bereits Stimmen, die auch andere Religionsgemeinschaften zum Aufbau einer eigenen Seelsorge ermutigen. 

Eine fundierte, zertifizierte Ausbildung für buddhistische Seelsorgerinnen und Seelsorger sollte sich meines Erachtens auf zwei Pfeiler stützen: die Kenntnis der buddhistischen Lehre und eine klinische Seelsorgeausbildung (KSA), wie sie bereits in der christlichen Seelsorge existiert. Warum klinisch? Das Wort basiert auf  dem amerikanischen Begriff CPE,Clinical Pastoral Education, der sich auf ein praxis- und fallorientiertes Training bezieht. Wichtige Lernfelder sind hier, wie sinnvolle, in Beziehung gehende Gesprächen mit Patient:innen, Kolleg:innen und medizinischen Fachkräften geführt werden können, außerdem Selbst- und Fremdwahrnehmung und Supervisionsangebote.  

Fundierte Meditationspraxis als Basis

Eine seelsorgerische Begleitung kann eine große Herausforderung für diejenigen sein, die Unterstützung geben möchten. Darum ist auch eine fundierte buddhistische Meditationspraxis wichtig. Sie lehrt uns, mit unserer inneren Vielseitigkeit, mit unserem eigenen Leid, unserem Frust und unseren Herausforderungen präsent zu sein. Wir üben, all das nicht zu verdrängen, sondern für uns selbst Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Mitgefühl zu entwickeln. Wir lernen, zu sitzen und nicht zu versuchen, etwas zu unterdrücken,davor zu flüchten oder innerlich nach Erklärungen und Lösungen zu suchenEine solche Praxis schafft die unerlässliche Basis, um für die Not eines anderen Menschen wirklich gegenwärtig sein und mit ihm offen und mitfühlend in Beziehung treten zu können.

Diese Qualitäten, die buddhistische Seelsorgende „nicht ängstliche“ oder auch „mutige Präsenz“ nennen, sind genau das, was Menschen in Not und verwirrenden Umständen brauchen: Ein Gegenüber, das mit ihnen mitten in ihrem Leid sein kann, mitfühlend, urteilsfrei und präsent. Auf dieser Grundlage und mit dem Hintergrund eines fundierten buddhistischen Wissens kann die Seelsorgerin, der Seelsorger dann mit den Hilfesuchenden klären, welche Entscheidungen deren tiefste Werte widerspiegeln. Daraus kann ein tiefes Akzeptieren und innerer Frieden entstehen – und auch ein neuer Handlungsraum oder ein friedliches Loslassen.

Körperschaft des öffentlichen Rechts

Menschen in schwierigen Lebenssituationen zur Seite zu stehen, will also gelernt sein. Ich hoffe daher sehr, dass sich in den nächsten Jahren eine zertifizierte buddhistische Seelsorgeausbildung bei uns etablieren kann. Sie sollte auf den essenziellen Gedanken des Buddhismus beruhen, wie sie auch im Buddhistischen Bekenntnis der Deutschen Buddhistischen Union dargelegt sind, unabhängig von unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Pfade. Um eine buddhistische Seelsorge und entsprechende Zertifikate auf eine solide Basis zu stellen, wäre es sicherlich auch förderlich, wenn der Buddhismus in Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt würde, weil dies den Zugang zu Institutionen wie beispielsweise Haftanstalten sehr erleichtert.

Abschließend möchte ich auf die Frage eingehen, was wir persönlich gewinnen, wenn wir uns in buddhistischer Seelsorge ausbilden lassen und Menschen in Not unsere Unterstützung anbieten. Dazu möchte ich meinen Lehrer Dzongsar Khyentse Rinpoche zitieren: 

Warum üben wir den Dharma? Um Erleuchtung zu erlangen. Als Übende des Mahayana praktizieren wir um der Erleuchtung willen – aber für was? … Um anderen Wesen zu helfen, oder? Daher ist das Erreichen von Erleuchtung eigentlich nur ein Mittel. Wir wollen fühlenden Wesen helfen, deshalb versuchen wir Erleuchtung zu erlangen – Erleuchtung selbst ist hier nur ein Bonus. Anderen zu helfen ist der tatsächliche Gewinn.

Khyentse Foundation Communique, Words of Wisdom, 2. Februar 2021

© Regina Weilhart

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