12. Juni 2020
Mit der folgenden Stellungnahme vom 12. Juni 2020 hat der Rat der DBU alle Mitglieder und Mitgliedsgemeinschaften aufgerufen, sich an einem Austausch über „eine klare und überzeugende Vision einer liebens- und lebenswerten Welt“ zu beteiligen.
Die Beiträge werden auf der Seite Neustart in-Zukunft eingestellt.
Liebe Geschwister im Dharma,
die Corona-Pandemie wird das Zusammenleben der Menschen nachhaltig verändern. Dank ihrer meditativen und spirituellen Praxis können Buddhistinnen und Buddhisten mit dieser Entwicklung besonders einfühlsam umgehen. Der Rat der DBU möchte Euch bitten, Eure Erfahrungen und Überlegungen unter dem Leitgedanken „Wohin uns die Corona-Krise führen kann“ zu beschreiben und uns zuzusenden. Als eine Art Orientierung haben wir das folgende Statement verfasst:
Seit Jahresbeginn erleben wir eine Zeit, in der vieles zum Stillstand gekommen ist oder sich auf zum Teil unerprobte Weise geregelt hat. Wir sind nicht mehr verreist; wir sind entweder alleine oder zu vielen in eine Wohnung gesperrt und vom Freundeskreis getrennt gewesen; wir haben keine Veranstaltungen mehr besuchen können; und das Arbeitsleben hat plötzlich zuhause stattgefunden oder gleich ganz geruht. Gleichzeitig haben viele Menschen an vielen Stellen dafür gesorgt, dass die materielle Versorgung nicht zusammenbricht. Und viele haben Angst gehabt, dass sie selbst oder Nahestehende am Virus erkranken, während sie – häufig unter hohem Infektionsrisiko – andere Menschen betreut oder gepflegt haben.
Seit Anfang Mai haben die Lockerungen begonnen, die sich wie ein Neustart in einem fragilen Umfeld anfühlen. Wohin werden die Versuche führen, sich allmählich wieder direkter zu begegnen und dabei die während des zweimonatigen Lockdowns gemachten Erfahrungen und Überlegungen in den Alltag zu integrieren?
Denn die Corona-Krise wirkt immer noch wie eine Art Blitzlicht im Dickicht unserer Gewohnheiten. Der Schock, dass unsere Welt sich innerhalb kürzester Zeit so sehr verändern konnte, macht uns weiterhin zu schaffen. Bis vor wenigen Wochen erschien uns die Zukunft noch einigermaßen planbar und im Großen und Ganzen verheißungsvoll. Die Covid-19-Pandemie führt uns allen vor Augen, dass diese Annahme schon immer eine Illusion war. Es ist eine der Kernaussagen der buddhistischen Lehre, dass nichts in dieser Welt beständig ist. Der gegenwärtig von uns allen erlebte Wandel ist nur eine von vielen Arten der permanenten Veränderung.
Viele Menschen erleben die Folgen der Corona-Krise als Leid und bemühen sich um dessen Überwindung. Für die materiellen Probleme haben viele Institutionen und Organisationen Angebote zur Verfügung gestellt, die durch die überall sichtbare Bereitschaft begleitet wird, sich gegenseitig zu unterstützen. Nicht nur in Deutschland ist dieses Verhalten ein wichtiges Fundament für eine erfolgreiche Bewältigung aller entstandenen Schwierigkeiten.
Buddhistische Praxis kann in dieser Zeit für viele Menschen eine Hilfe sein, mit ihren Ängsten und anderen negativen Gefühlen besser zurechtzukommen – z.B. durch Metta-Meditation oder Achtsamkeitsübungen. Oder mithilfe unzähliger anderer Praxis-Übungen, die im Laufe der Jahrtausende entwickelt und ständig verfeinert worden sind. Seit Beginn dieser Krise ist eine Vielzahl von Online-Angeboten entstanden, die Meditations-Praxis, spirituellen Austausch und Gemeinschafts-Erfahrungen bieten. Natürlich ersetzen solche Treffen nicht die wirkliche Begegnung mit anderen Menschen – sind aber besser, als unter Zweifel, Furcht und Vereinsamung zu leiden.
Ging es in den Medien anfangs vorrangig darum, welche Methoden zur Bekämpfung der Pandemie am erfolgversprechendsten sind, verlagert sich der öffentliche Diskurs nunmehr auf die Frage, wie sich der begonnene Ausstieg aus den Notmaßnahmen weiter entwickeln soll. Angesichts der jetzt erlebten Fragilität der bis dahin als „normal“ erlebten Lebensweise rückt auch die Frage in den Fokus, zu welcher Art der „Normalität“ wir eigentlich zurückkehren wollen.
Die Frage, welche Art von Leben nachhaltig sinnvoll und zukunftsfähig ist, ist für uns Buddhistinnen und Buddhisten ständig relevant, weil wir ein Teil der Zivilgesellschaft sind und die Lehre des Buddha uns konkrete Hinweise gibt, welche Entwicklungen heilsam und welche unheilsam sind. Wenn wir uns an die Welt vor dem Beginn der Pandemie erinnern, denken wir vor allem an eine Welt der scheinbar unlösbaren Krisen: die Klimakrise mit den dazu gehörigen Naturkatastrophen, rasantes Artensterben, Plastikmüll-Verseuchung in den Ozeanen und auch in unserer Nahrung, religiös-nationalistische Konflikte als Auslöser großer Migrationswellen, Rechtspopulismus und Rassismus, zunehmende Spannungen und Wirtschaftskriege zwischen großen Nationen, starke Zunahme sozialer Ungerechtigkeit und Armut. Diese Liste lässt sich noch um einiges erweitern.
Wir haben uns zu fragen, wie die Welt nach dem Neustart aussehen soll – zum Beispiel im ökonomischen Bereich. Geht es darum, die Wirtschaft möglichst schnell in ihrer bisherigen Form wieder hochzufahren oder besser gleich Alternativen zum Drang nach einem ständigen Wachstum auf einem begrenzten Planeten zu suchen und zu fördern? Ist es nicht sinnvoller, aus dem Neustart auch einen Neubeginn zu machen, indem wir uns z.B. dafür einsetzen, dass bevorzugt Projekte, Unternehmen und Branchen gefördert werden, die nachhaltiger, ökologischer oder sozialer ausgerichtet sind?
Wir Buddhistinnen und Buddhisten möchten unseren Beitrag leisten, in allen Lebensbereichen eine klare und überzeugende Vision einer liebens- und lebenswerten Welt zu entwerfen und umzusetzen. Wir sind der Meinung, dass jede Krise viele Türen für heilsame Entwicklungen öffnet. Wir (die DBU und ihre Mitglieder) wollen uns daran beteiligen, diese Türen zu öffnen und die auf diese Weise gefundenen Möglichkeiten zu benennen. Über diese Aufgabe möchten wir uns gerne mit allen Interessierten austauschen. Beiträge zu diesem Thema sind erwünscht und werden von uns online gestellt.
Wir sind gespannt auf eure Rückmeldungen!
Der Rat der DBU