Drei Buddhisten gehen in eine Bar

DBU Diskurs   >   Thema: Buddhismus & Ethik in der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden

In diesem Beitrag fasst Kiera van Gelder das Verhältnis westlicher Dharma-Praktizierender und ihrer Lehrer in eine ungewöhnliche und überraschende Metapher: von einer Bar, in der wir uns miteinander so betrinken, dass wir nicht mehr klar denken können – und dann nach Hause gehen mit dem ersten Meister, der uns Erwachen und Befreiung verspricht. Eines Tages passiert es: Die Heiligkeit bekommt Risse, unerleuchtetes Verhalten, Verwirrung und Enttäuschung sickern hindurch. Doch das stumme Mitansehen von Missbrauch ist keine spirituelle Praxis, sagt die Autorin. Missbrauch und Mitgefühl können nicht koexistieren.

Drei Buddhisten gehen in eine Bar. Ein Theravadin, ein Mahayana- und ein Vajrayana-Praktizierender. Der Vajrayana-Praktizierende fordert den höchsten Stuhl, der Mahayana-Praktizierende bietet seinen Körper als Stuhl an und der Theravadin sitzt, auf seinen Atem konzentriert, in der Ecke und ignoriert die abschätzigen Blicke, die auf ihn geworfen werden.

Drei weitere Buddhisten kommen durch die Tür. Und dann noch drei. Und noch mehr. Einer ist Kambodschaner, ein anderer Thai, eine Nepalesin, ein Tibeter, eine Chinesin, ein Japaner … bis die Bar mit flatternden Roben, rasierten Köpfen, Weihrauch, Gesängen und Gebeten in einer Kakophonie von Sprachen angefüllt ist.

Die Tür öffnet sich wieder und eine neue Gruppe von Praktizierenden tritt ein: die westliche Abteilung. Suchende, Therapeutinnen und Therapeuten, Physikerinnen und Physiker, Hippies, Gelehrte, Anthropologen, Ärztinnen und Ärzte, genesende Süchtige, Installateure, Künstlerinnen und Künstler. Die meisten sind enttäuscht von den vorgefertigten Produkten oder zwielichtigen Ladenbesitzern im Einkaufszentrum um die Ecke.

Stühle mit angenehmer Polsterung

Sie sortieren sich entsprechend den Lehrerinnen und Lehrern in ihren Roben, empfangen die ersehnten verschiedenen Ambrosia-Trünke. Einige der Therapeuten werfen sich vor den Rinpoches nieder, die genesenden Süchtigen sitzen im Schneidersitz, und die Gelehrten nehmen die Worte heiliger Texte auf und übersetzen sie. Einige Westlerinnen und Westler beginnen, neue Stühle zu bauen, mit angenehmerer Polsterung. Willkommen in der Bar der Buddhismen, wo Ost und West aufeinander treffen und alle nach Erleuchtung suchen.

Die Dinge scheinen gut zu laufen, bis unerleuchtetes Verhalten beginnt, durch die Risse der Heiligkeit zu sickern. Ein Lehrer häuft eine Flotte von Rolls Royce Wagen an, während seine Schülerinnen und Schüler in Armut leben. Ein anderer trinkt sich zu Tode, während seine Schülerinnen und Schüler seine Tugenden preisen. Zwischen Chanten und Stille entstehen Flüstern und Geheimnisse. Duftender Weihrauch trägt den Hauch verfaulender Heiligkeit.

Rinpoches verführen und erbitten hübsche junge Mädchen als Mittel zur Erleuchtung. Die Zen-Meister verlangen, dass Frauen ihre Brüste zeigen, um ihre Ego-Anhaftung zu vermindern. Mudras der Belästigung und Koans der sexuellen Unterordnung verwirren die aufrichtigen Absichten von Schülerinnen und Schülern. Kann ein buddhistischer Meister erleuchtet sein und anderen dennoch vorsätzlich schaden? Ethischen Fragen wird mit autoritären Vorwürfen entgegnet:
Diesen westlichen Schülerinnen und Schülern fehlt die Hingabe und der Glaube an die Authentizität des Buddhismus. Ihr relativistischer Verstand kann die Mittel zur Überschreitung des Ego nicht erfassen. Diese Schülerinnen und Schüler hätten wissen sollen, worauf sie sich eingelassen haben.

In dieser Bar betrinken wir uns

Als westliche Menschen, die in die traditionelle buddhistische Praxis eintreten, müssen wir alle in diese Bar gehen. Und unglücklicherweise betrinken sich die meisten von uns und gehen mit dem ersten Lehrer, den wir treffen, nach Hause. Wir hoffen, dass jemand in diesem Raum uns einen klaren Weg aus dem überwältigenden Leid und der Verwirrung des Lebens bieten kann. Wir hungern nach dem „Authentischen“ und dem „Legitimen“ in einer Welt, die sich zunehmend in eine Fassade verwandelt. Wenn wir uns entmachtet fühlen, empfangen wir „Ermächtigungen“ von Lehrerinnen und Lehrern, die eine Traditionslinie verkünden, die ungebrochen zurückgeht bis zu dem Erwachten.

Wenn wir in die Bar gehen, tragen wir eine tiefe, verletzliche Sehnsucht in uns: Wir wollen dieses Getränk, das reine Elixier einer Heilung, um uns selbst, unser Leben, die Welt, in der wir leben, zu reparieren. Wir wollen mit dem Menschen nach Hause gehen, der uns in Ordnung bringen wird. Und es ist überwältigend anziehend und verführerisch, wenn diese Buddhismen, die uns begrüßen, uns Freiheit, Befreiung, Seelenfrieden und Glück versprechen, sofern wir nur Übung und Vertrauen aufbringen und ihren Wegen bedingungslos folgen.

Wenn wir uns vorstellen würden, dass in diesem kritischen Moment der historische Buddha die Bar beträte – womit würde er sich in Beziehung setzen? Was wäre eine genaue Wiedergabe seiner Lehren und Erfahrungen?

Würde er den Status des tibetischen Rinpoche als erleuchtete Reinkarnation unterstützen? Würde er die Perfidie des gefeierten Meisters als „verrückte Weisheit“ bewundern? Würde er den völligen Rückzug einiger Praktizierender aus weltlichen Angelegenheiten zum Zwecke der Nichtanhaftung dulden? Und vielleicht die drängendste Frage: Werden irgendwelche der Wahrheiten, die er, allein unter dem berühmten Baum sitzend, erlebt hat, in der Bar der Buddhismen praktiziert?

Ist der Buddhismus immun gegen die Wahrheiten, die er offenbart?

Wenn man als Lernende oder Lernender tief in die historische Tradition des Lebens des Buddha und den ursprünglichen Pali-Kanon eintaucht, kann das Problem nicht so einfach gelöst werden. Die Buddhismen in der Bar enthalten alle die Grundlagen seiner Weisheit, aber gleichermaßen trifft zu, dass jeder Buddhismus in einer bestimmten Kultur gebraut wurde, eingerührt in eine bereits etablierte Weltanschauung und soziale Struktur. Der Buddhismus gärt mit fortschreitender Zeit.

Obwohl sie von vielen als unveränderlich betrachtet werden, können sich die Lehren des Buddha den Auswirkungen von Zeit und Ort nicht entziehen. Etwas anderes zu behaupten, negiert eine erfahrungsmäßige Grundlage des Dharma selbst: die Tatsache der Vergänglichkeit. Die buddhistische Praxis veranlasst uns, die Tatsache zu untersuchen und aus erster Hand zu wissen, dass sich alle Dinge ändern. Es muss also eine Frage gestellt werden: Ist der Buddhismus immun gegen die Wahrheiten, die er offenbart?

Was ist Teil des Dharma?

Wenn wir in die Bar gehen, auf der Suche nach einer wichtigen Beziehung und am Ende den ersten „Meister“, den wir treffen, mitnehmen, wäre es in unserem Interesse, mehr darüber zu erfahren, wo er (oder sehr selten: sie) herkommt. Welche kulturellen Gebräuche spiegeln sich in seinem Status und seiner Lehrstruktur wider? Schließt seine Weltanschauung ein, das Frauen Männern gleichwertig sind, geistig und in anderen Hinsichten? Wird der Achtfache Pfad des Buddha und ein ethisch verantwortliches Verhalten umgangen oder umarmt? Es wäre gut zu hinterfragen, ob all das Verbeugen, Singen, die Opfergaben, Visualisierungen, Rückzüge, Meditationen und die persönliche Preisgabe von Vernunft und Logik Teil des Dharma sind. Wir müssen anfangen zu fragen: Ehren diejenigen, die den Buddhismus praktizieren, tatsächlich ihre Gelübde, sich selbst und anderen keinen Schaden zuzufügen? Denn wir wissen, tief in unseren Herzen: Es gab keinen geheimen 9. Pfad, der Dharma-Lehrer legitimieren würde, denen zu schaden, die ihnen vertrauen. Wir wissen auch, trotz der vielen Direktiven, die dem Sangha auferlegt wurden, nicht zu „klatschen“ oder „schlecht über den Lehrer zu sprechen“, dass das stumme Mitansehen von Missbrauch keine spirituelle Praxis ist. Missbrauch zuzulassen und Mitgefühl auszuüben können nicht koexistieren.

Eine oft zitierte und ebenso oft angefochtene Lehre des Buddha findet sich im Kalâmer Sutra. Die Kâlâmer-Suchenden fragten den Buddha, wie sie die Wahrhaftigkeit der vielen Lehrer überprüfen könnten. Seine Antwort (unterschiedlich, aber im Kern doch ähnlich übersetzt) lautet so:

„Recht habt ihr, Kalâmer, dass ihr da im Unklaren seid und Zweifel habt. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, seid ihr es. Geht nicht nach Hörensagen oder Gerücht, Überlieferung oder Tradition, modischen Meinungen oder heiligen Schriften, nicht nach Vernünftelei, logischer oder rhetorischer Kunstfertigkeit, Gedankengebäuden oder scheinbar attraktiven Ideen; nicht nach dem scheinbaren Talent oder der Autorität eines spirituellen Meisters. Aber wenn ihr für euch selbst versteht: ‚Diese Dinge sind unheilsam, verwerflich, werden von Weisen kritisiert, und, wenn man sie annimmt und umsetzt, führen sie überall zu Schaden und Leiden‘, dann, o Kâlâmer, sollt ihr sie aufgeben.“

Habe ich, in meiner Praxis und Suche, diese Worte beachtet? Nein. Zu meinem eigenen Entsetzen habe ich das Verhalten meines Lehrers nicht in Frage gestellt, weil ich wollte, dass er mich zur Befreiung führt. Ich war betrunken von einer Verführung und nicht einfach nur von einem Lehrer. Mein Durst vernebelte meinen gesunden Menschenverstand. In der Bar gefangen, nach Antworten suchend, verließ ich selten den Raum, um mich unter einen Baum zu setzen und mich einer tiefgründigen Untersuchung jenseits aller menschlichen Konstruktionen zu öffnen. Meine Trunkenheit nährte sich von den Ritualen, den Verbeugungen, dem Sitzen zu Füßen eines Mannes, der „wusste“, und als der Rinpoche mich sexuell berührte und versprach, „Je näher du mir bist, desto näher bist du dem Erwachen“, wollte ich ihm glauben, auch wenn mein Körper und mein Geist rebellierten.

Es war eine schmerzhafte Entgiftung für mich. Und viele Jahre lang fühlte ich mich wie das Opfer eines grausamen Schwindels: dass Lehrer und Gemeinschaften, die Mitgefühl und Weisheit als ihr höchstes Ziel proklamieren, anderen Menschen solche Schmerzen zufügen können. Ich ging schließlich zur Tür hinaus. Oder besser gesagt, ich bin halb gestolpert, halb geflohen von jenen zusammengebastelten Stühlen, geschnitten aus Bäumen, unter denen wir eigentlich hätten sitzen sollen. Drinnen, hinter mir, griff mein Lehrer nach der nächsten jungen Schülerin.

Sein Erwachen trug ihn ins Leben

Die Lehren des Buddha basierten alle auf einem experimentierenden Bewusstsein. Bewusst sitzen, bewusst gehen, sich bewusst bewegen: Er hat diese Erkenntnis allein erreicht. Diese Handlung wird vielleicht die größte Herausforderung für alle Buddhismen sein.

So wie der Buddhismus der Tatsache der Unbeständigkeit nicht entkommen kann, zerstört der Kern seiner Praxis die Strukturen, die an ererbtem Wissen und Autorität festzuhalten versuchen.

Während einige sagen werden „Ich habe das authentischste Getränk“ und in der Bar bleiben, lerne ich, mich unter einen Baum zu setzen. „Ich habe gelernt, ganz normal zu sein“, erzählte mir eine andere Frau, die die Bar verließ. „Buddhanatur ist das, was ich bin. Niemand kann sie mir geben oder nehmen.“ Vielleicht ist das der Grund, warum der Buddha nach seinem Erwachen den Boden als Zeugen berührte. Seine Geste war nicht rituell. Sein Erwachen trug ihn ganz und gar ins Leben.

Kiera Van Gelder

Dieser Artikel wurde übersetzt von Susanne Billig und publiziert mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des  Buddhism controversy Blog von Tenzin Peljor, wo er auf Englisch erschien.

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