Interreligiöse Teegespräche
20. Februar 2025 | _Alle | AG Interreligiöser Dialog | Aktuell
Religion in der Krise? Was fordert, was fördert uns?
Die interreligiösen Teegespräche sind ein neues Format der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), das Raum für entspannte Begegnung und Austausch schafft – inspiriert von der Idee der Gastfreundschaft, die aus Fremden Freunde macht.
Erstes Teegespräch am 8. November 2024 in Berlin
Thema: Religion in der Krise? Was fordert, was fördert uns?
Die DBU im Gespräch mit: Seyran Ates, Imamin und Gründerin der Ibn Rushd Goethe Moschee, Hajji Emrah Gençaslan vom Sufi-Zentrum Rabbaniyya des Naqshbandi Aliyya Ordens und Vaidyanath Das, Geschäftsführer des Hindu Forum Deutschland gUG.
Eingeladen haben: Tsunma Konchok Jinpa Chodron, buddhistische Nonne und stellvertretende Vorsitzende der DBU, Susanne Billig, Redakteurin von BUDDHISMUS aktuell und Moderation, Sam Moré, DBU-Mitglied und Gastgeber.

Es soll explizit keine Podiumsdiskussion sein, sondern eine freundliche entspannte Begegnung im Sinne der Gastfreundschaft, mit etwas Essen und Trinken. Die Gastfreundschaft spielt in den meisten Religionen und Kulturen eine große Rolle – es ist eine Verbindlichkeit, die aus „Feinden“ Freunde macht. Und in diesem Rahmen wollen wir einander zuhören, unsere Erfahrungen teilen und voneinander lernen.
Ein buddhistischer Impuls von Tsunma Jinpa zum Essen stimmt uns darauf ein, mit Respekt und Dankbarkeit an alle Wesen zu denken, die zu dem beigetragen haben, was wir hier empfangen dürfen. Hierzu die Fünf Betrachtungen von Zen Meister Dogen: „Mögen wir an unser eigenes Handeln denken und daran, woher diese Nahrung kommt und wie viel Mühe damit verbunden war. Mögen wir überlegen, ob wir wahrhaft Gutes getan haben, wenn wir diese Nahrung annehmen. Mögen wir Gier, Wut und Verblendung umwandeln, indem wir unseren eigenen Geist zähmen und uns von Unheilsamen fernhalten. Mögen wir diese Nahrung als gute Medizin für unseren Körper zu uns nehmen. Wir nehmen diese Nahrung an, um den Weg der Weisheit und des Mitgefühls zu gehen“.
Der Wunsch alle an den Tisch zu holen, findet sich in vielen Beiträgen wieder. So auch im Rumis Worten, „Komm, komm, wer immer Du bist, Wanderer, Götzenanbeter, Du, der du den Abschied liebst, es spielt keine Rolle. Dies ist keine Karawane der Verzweiflung. Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast. Komm, komm noch einmal. Komm.“
Diese Ausrichtung steht auch hinter Seyrans Vision eine liberale Moschee zu gründen, um Menschen zusammen zu bringen – Menschen aus unterschiedlichen islamischen Richtungen, Männer und Frauen, die LGBTI Community, Menschen aus anderen Religionen und solche, die keiner Religion angehören. Sie möchte einen universellen Ort schaffen für alle Menschen, die sich der Liebe und der Barmherzigkeit verpflichten – im Namen des barmherzigen, liebenden Gottes. Für diese Vision muss sie hart bezahlen. Nach einem misslungenen Attentat und weiteren Morddrohungen aus den eigenen Reihen, steht sie heute noch unter Personenschutz – welcher friedlich, aber wachsam im Vorraum beim Tee sitzt.
Seyran Aten ist als ehemalige Juristin, keine Idealistin, sondern steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Fakten. Trotzdem hat sie ihre Vision noch nicht aufgegeben – für sie gibt es keine Karawane der Verzweiflung. Es gibt immer Wege, Entscheidungen, die weiterführen.

Auch für Emrah Gençaslan gibt es immer Hoffnung und er sieht seine Aufgabe als Sufi, den Menschen diese Hoffnung wieder nahe zu bringen, sie an den Schöpfer zu erinnern, sie daran zu erinnern, dass jede Krise auch dazu da ist, um zu wachsen. Jede Krise bringt neue Möglichkeiten – etwas Altes vergeht, etwas Neues entwickelt sich. Als Muslim glaubt er an seinen Schöpfer, der sagt, „wer geduldig ist, den werde ich unterstützen“ und „ich werde einschreiten, wenn die Tyrannei am schlimmsten ist.“
Dass die Menschen eine Richtungsänderung brauchen, so sieht es auch Vaidyanth Das. Denn nicht die Religionen seien in der Krise, sondern eher die Menschen, die sich immer mehr dem Vergnügen und dem Konsumieren zugewendet haben. Anstatt Hingabe für den Höchsten Herrn zu entwickeln, entwickeln wir die Anhaftung an das Materielle. Dazu sein Gebet zum bhutanischen Diwan: „Möge das ganze Universum vom Glück gesegnet sein. Und mögen alle Menschen Frieden finden, mögen alle Lebewesen den Wunsch entwickeln einander zu dienen und füreinander zu sorgen. Mögen unsere Herzen und unser Geist mit Reinheit und Ruhe erfüllt sein, damit all diese Segnungen fließen können. Wollen wir uns dem ersten transzendentalen Herrn zuwenden und ihn in lauterer Hingabe verehren. Om shanti, shanti shanti. Shanti heißt Frieden – und es ist diese Umkehrung, die zu innerem Frieden und letztlich dann äußeren Frieden führt. Denn worauf sich unser Geist konzentriert, dahin kommen wir.“
Auch hier sind wir uns alle einig. Wenn wir in Krisenzeiten für den Frieden sprechen wollen, dann müssen wir erst in uns Frieden schaffen, die Krise in uns selbst bewältigen – in dem wir unsere Geistes-beziehungsweise Herzenstrübungen, wie Zorn, Gier, Eitelkeit, Neid und Unwissenheit reinigen und transformieren. Sonst bleiben wir einfach eine Gruppe schräger Typen, die realitätsfern Liebe und Frieden predigen – und da draußen ist Krieg!
Nur wenn wir unsere Worte wirklich ernst nehmen, wenn wir es ehrlich meinen in diesen Runden, in diesen Dialogen, wenn wir uns nicht gegenseitig davon überzeugen wollen, dass meine Religion/Spiritualität besser ist als deine, nur dann kann es im Guten funktionieren. Nur dann können wir unsere Schrägheit gemeinsam bei Kaffee und Kuchen wirklich feiern.
Wir schauen normalerweise auf die Unterschiede und nicht auf das, was uns verbindet wie zum Beispiel die Suche nach Gott/dem Göttlichen. Alle Wesen haben Buddha-Natur, auch der, der uns als vermeintlicher Feind erscheint. Das Gute ist in jedem. Wir sind als Menschen erschaffen und sollen uns auch menschlich verhalten und Nächstenliebe zeigen. Und in jedem Menschen ist der Herr inne, nur der Mensch ist sich dessen nicht bewusst – „Ich bin euch näher als eure Halsschlagader“ heißt es im Koran.
Die Würde des Menschen ist unantastbar und das gilt für jeden einzelnen Menschen auf dieser Welt.
Aber das ist nicht so einfach, denn der Hass verbreitet sich nicht nur auf der Seite derer, die wir als die Bösen identifizieren, sondern auch auf der Seite derjenigen, die sich als die Guten darstellen, was Seyran Aten nur zu gut kennt. Das kann sehr schmerzhaft sein und führt wiederum dazu, dass sich die Menschen verraten fühlen und ihr Vertrauen verlieren.
Wo finden wir unsere Partner in der Welt, die Menschen, mit denen man sich zusammen wieder begeistern kann für die Werte wie Mitgefühl, Liebe, Geduld? Denn die Menschen verabschieden sich immer mehr von Religion als Institution. Alle Religionen werden immer mehr institutionalisiert, werden immer mehr Interessensorte von Einzelnen, in denen Machtworte gesprochen werden, leider insbesondere von Männern. Da braucht es noch viel mehr Gleichberechtigung.
Für Vaidyanath Das ist es wichtig, dass Religion ernst genommen wird und an den Schulen Vertreter der Religionen lehren können. Religionen sollten auch in den Wissenssektoren, wie den Universitäten, Zugang finden. Die Absicht zählt, wobei es nicht bei der guten Absicht bleiben sollte. Vor allem sollte man auch Verantwortung übernehmen, für das was man sagt und tut – und nicht nur etwas übernehmen, weil es da geschrieben steht und sein Tun damit rechtfertigen. Auch Heilige Texte können immer interpretiert werden. Also Bildung ist sehr wichtig – schon in der frühkindlichen Erziehung – um selbstkritisch Denken zu lernen.
Wichtig ist es auch, sich dem Anderen zu öffnen – die Türe und das Herz. Wir schauen auf das Herz, nicht auf die Zunge, sagt Hajji Emrah Gençaslan. Auf Menschen zuzugehen, ohne sie missionieren zu wollen. Sich auf neues Terrain zu wagen. Viele Gemeinschaften und Zentren haben ihre Türen für Flüchtlinge geöffnet.

Wie kann es im täglichen Leben funktionieren? Was ist die einfache Botschaft für Menschen, die nicht so privilegiert sind und viel Zeit für spirituelle Praxis aufwenden können?
Vaidyanath Das: „Man tut seine Arbeit, folgt gewissen religiösen Empfehlungen und gibt einen Teil seiner Arbeit zu Gott. Allein, durch diese Rituale und dass man einen Teil seiner Zeit der spirituellen Praxis widmet, macht man automatisch auch spirituelle Fortschritte.“
Tsunma Jinpa: „Die spirituelle Praxis hört nicht auf, wenn wir vom Meditationskissen aufstehen. Wir können die Achtsamkeit in alle Tätigkeiten des Alltags einbringen, in alle Beziehungen. Wir können immer wieder innehalten, um nach innen zu schauen und diesen klaren Blick der Innenschau nach außen tragen.“
Emrah Gençaslan: „Wir sollten ein Beispiel sein für alle Menschen und für unsere Umgebung – dass sie sehen, dass es auch anders geht. Man kommt zusammen, am Tisch. Das Mahl vereinigt.“
Sam Moré: „Wenn jemand nur ein wenig jeden Tag meditiert, dann ändert sich etwas auch ohne große Schriften. Wenn er seine Praxis mit dem Herzen sieht, seine Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft kultiviert, dann braucht er nicht viele Bücher lesen, das Verständnis kommt von selbst.“
Seyran Ates: „Wie erreiche ich Menschen, die in ganz anderen Welten leben? Ich erreiche sie nur in der Begegnung. Aber wie erreiche ich sie, wenn sie nicht in unsere Moschee kommen, oder zu euch? Wie erreichen wir die, mit denen wir nicht so reden können?“
Wir werden nie alle erreichen können. Aber wir erreichen diejenigen, die wir erreichen und diese werden wiederum andere erreichen, so dass sich der Kreis immer weiter ausdehnt. Es ist die Begegnung, die zählt – das ist die Erfahrung die wir hier machen dürfen. Und sie ist vielleicht wichtiger, oder zumindest genauso wichtig, wie all unsere Worte.
In diesem Sinne enden wir mit einem Moment der Stille – wir lassen ausklingen, was wir erfahren haben, um die Essenz davon mit hinaus in die Welt zu nehmen, um weitere Anstöße zu geben. Und wir sitzen in Stille auch für diejenigen, die nicht dieses Privileg haben.
In Dankbarkeit an unsere Gesprächspartner:innen, an unsere Moderatorin für ihre einsichtigen Fragen und vor allem auch an unseren Gastgeber, der den perfekten Rahmen für unser Gespräch geschaffen hat.
Tsunma Jinpa
26. Januar 2025
