4. Colloquium der Reihe WAS IST GEIST? – Vom reinen Bewusstsein zum aktiven Handeln
17. September 2024 | _Alle | bhavana | Veranstaltung
Aus der Sicht des Klimaaktivisten Robert Pauli
Was ist Geist? Manche Fragen sind so rasch gefragt, aber selbst nach etlichen, sich den Kopf zerbrechende Menschheitsgenerationen nicht schlüssig beantwortet. Mutig also, dass bhavana, das Studienprogramm der DBU, sich genau diese Leitfrage für eine inzwischen vierteilige Reihe an Colloquien gesucht hat.
Der Kern dieses 4. Colloquiums wird im Untertitel näher definiert: „Vom reinen Geist zum aktiven Handeln“ lautete die Themensetzung. Die Spanne der drei wissenschaftichen Vorträge war entsprechend weit.
Im 4ten Colloquium diskutierten die Referent:innen PD Dr. Olga Klimecki, Prof. Thomas Metzinger und Dr. Dagmar Schwerk, sowie der Moderator Prof. Gert Scobel die sozialen und gesellschaftlichen Implikationen einer Meditationspraxis und ethischer Vorstellungen mit der Kernfrage: Wie können wir den individuellen buddhistischen Weg, über den engagierten Buddhismus hinaus, mit nachhaltigem gesellschaftlichem Handeln in Einklang bringen?
Nicht chronologisch, aber logisch erster Haltepunkt auf der Strecke ist Professor Thomas Metzingers Ansatz, der sich dem „reinen Geist“ als Ausgangspunkt nähert. Die Idee: Man schäle vom Geist – oder genauer: vom Bewusstsein – durch Meditation Schicht für Schicht ab, bis so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig übrig bleibt. Beziehungsweise: Man frage Menschen, die solche Zustände tiefster Versenkung kennen, und bitte sie, das Unbeschreibbare zu beschreiben. Heraus kommen dann durchaus inspirierende Aussagen – mal mehr, mal weniger anschlussfähig an die eigenen Erfahrungen. Reines Bewusstsein zeichnete sich für die Befragten zum Beispiel durch seine Leichtigkeit, Stimmigkeit oder auch seine Dichte aus.
Ein nächster Schritt war dann die Forschung von PD Dr. Olga Klimecki, die aus neurowissenschaftlich-psychologischer Sicht die Wirkung von meditativen Übungen untersucht. Im Spektrum, das der Untertitel aufzeigt, gehen wir damit vom „reinen Geist“ in Richtung Handeln. Zusammengefasst: Effekte lassen sich finden – Mitgefühl wird durch Meditationspraxis gesteigert – aber die große compassion-Revolution ist den Ergebnissen zufolge wohl selbst dann nicht zu erwarten, wenn (Achtung, Ironie!) der allgemeine Meditationszwang erst einmal eingeführt wäre.
Im Raum stand die Frage, ob sich intensivere Formen von Meditation abseits eines buddhistischen Studienseminars in näherer Zukunft überhaupt größerer Beliebtheit erfreuen können werden. Das wäre ja nötig, wenn ein gesellschaftlicher Transformationsimpuls davon ausgehen soll. Hier ein Dank an die Beteiligten: Dass die im Colloquium Versammelten nicht repräsentativ für die Gesamtgesellschaft sind, ob nun national oder global, wurde mehrfach festgestellt. Einstimmiges Kopfnicken in der eigenen Gruppe sollte ja nie als gesellschaftlicher Konsens interpretiert werden. Insbesondere dann, wenn vier Intellektuelle aus Akademia mit Offenheit für spirituelle Praxis aus dem ziemlich weiten Osten diskutieren. Wurde es wie gesagt auch nicht.
Stattdessen wechselte die Perspektive mit dem letzten Input von Dr. Dagmar Schwerk in eine Szenerie, in der buddhistische Praxis tatsächlich als gesellschaftsprägende Größe seit langer Zeit – und nicht nur für gewisse Randgruppen – betrachtet werden kann, nämlich nach Bhutan. Und damit in ein Land, dass durch sehr greifbare Institutionen – unter denen das Bruttonationalglück zwar wohl die bekannteste, aber längst nicht einzige ist – zeigt, wo die Reise vom Geist zum Handeln hinführen kann.
Dass dieser Weg so direkt aber nicht zu gehen ist, bekommt dann vor allem Professor Gert Scobel in der abschließenden Diskussion auf den Tisch. Was er mit gewagt weit gespannten moderativen Bögen dennoch zusammenhalten kann. Mein Geist allerdings – oder ist es nur meine Aufmerksamkeit? – vermag zu fortgeschrittener Stunde nicht mehr jeder der semantischen Spitzkehren des Gesprächs zu folgen.
Vielleicht waren die Perspektiven, auch die Begrifflichkeiten, für eine sich resonant befruchtende Diskussion doch etwas weit gestreut. Ein kohärenter Blick auf das Phänomen „Geist“ stellte sich bei mir nicht ein.
Aber die aufgeworfenen Fragen sind auch für sich genommen hochgradig relevant für mein eigenes Leben, denn „Vom reinen Geist zum aktiven Handeln“ könnte auch ich meine derzeitige Orientierungsphase untertiteln. Nach einer Zeit des (vielleicht sogar hyper)-aktiven Handelns in politischen Aktionen und auch abseits davon, hatte ich mir vor einem guten Jahr einen Aktivismus-Sabbat verordnet. Nicht, weil Demonstrationen oder Bürger:innenentscheide nichts bringen, sondern weil jene andere Seite – die Pflege des Geistes – zu wenig Raum hatte. Weil ohne Fundament auf Dauer nichts stehen kann, und der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung sich ohne feste Basis immer nur in kurzatmigen Aktionen artikulierte. Das kostet vor allem Kraft, ohne jedoch allzu viel Vision zu liefern. Darum nun der Sabbat, die Hinwendung zum Geist, aber nicht nur als Selbstzweck, sondern auch, um mit längerem Atem zur richtigen Zeit in der richtigen Weise in die Welt wirken zu können, ohne dabei den Abwegen, Resignation oder Ausbrennen, anheim zu fallen.
Dass diese Herausforderungen auch im Colloquium und damit im spirituellen Kontext zur Sprache kamen, finde ich so wohltuend wie notwendig. Auch wenn es an die schmerzhaften Bereiche unsere Zeit geht, wenn Thomas Metzinger etwa mit nötiger Klarheit feststellt, dass er glaubt, „ein Hauptproblem für Praktizierende heute oder für ethisch interessierte Menschen ist, damit umzugehen, dass das wahrscheinlich schief geht mit der planetaren Krise, dass der Klimawandel sehr wahrscheinlich einen unkontrollierten und katastrophalen Verlauf nehmen wird. Das ist jetzt die realistischste Annahme, und eine spirituelle Praxis muss mit der Frage umgehen können, wie man in dieser Welt noch seine Selbstachtung bewahrt, wissend, dass die ganze Menschheit wahrscheinlich gerade dabei ist, ihre Würde zu verlieren. Die Herausforderung besteht darin, damit umzugehen, dass es vielleicht keinen Erfolg geben wird, in der äußeren Welt.“
Dass aus der Praxis aber auch Wege aus der Resignation heraus hin zu entschiedenem Handeln – eben durch starke Rückbindung an die (spirituellen) Werte, auch entkoppelt von Wirksamkeitserwartungen – erwachsen können, fand ebenso Platz. Seien es Stichworte wie Engagierter Buddhismus oder Gruppen wie die Ecosattvas des One Earth Sangha, die Earthholders, Extinction Rebellion Buddhists oder Zen Peace Makers – dass Praxis nicht nur auf dem Meditationskissen stattfinden muss, ist für viele Buddhist:innen längst selbstverständlich.
Nach gut drei Stunden fast ausschließlich rezeptiver Aktivität wusste ich zwar – erwartungsgemäß – noch immer nicht, was Geist nun ist. Aber vielleicht sind die schönsten Fragen ja auch jene, die keine klaren Antworten kennen. Gerade in einer immer mehr nach Vereindeutigung drängenden Welt – auch wenn es nicht zuletzt diese Fragen sind, die mitunter etwas Kopfzerbrechen bereiten können. Ich würde mich über Fortsetzung freuen.
Robert Pauli
Robert Pauli ist ein erfahrener Klimaaktivist und gehört zum Orga-Team der Jungen Buddhistischen Union. In seinem Rückblick auf das vierte Kolloquium „Was ist Geist?“ reflektiert er dessen Inhalte in Bezug auf seine eigene Hinwendung zum Geist und wie dies seine Sicht auf Aktivismus beeinflusst.